Recht

„Sich an den Anderen in der Sprache des Anderen zu richten, ist die Bedingung jeder möglichen Gerechtigkeit“

Jacques Derrida

 

Das Recht in der kooperativen Praxis versteht sich nicht als ein Recht auf Kosten des Anderen. Die Verständigung über das Recht ist daher ein Kernpunkt der kooperativen Praxis. Es gibt kein geheimes Recht, und es gibt keine versteckten Strategien, das Recht des Einen gegen den Anderen durchzusetzen. Das Recht wird offen mit der eigenen Partei besprochen – und danach ebenso offen mit der der anderen Seite diskutiert. Das Recht ist der Rahmen, in dem auch die emotionale Klärung der Konflikte stattfindet. Die Basis der kooperativen Praxis ist freilich immer das Anwaltsmandat. Das Anwaltsmandat beschränkt sich jedoch nicht auf die juristische Klärung, sondern schließt eine Konfliktklärung mit ein. Das setzt voraus, dass das Recht und die emotionalen Konflikte zunächst getrennt betrachtet werden. Es setzt weiter  voraus, dass die Anwälte dabei gleichwohl den Blick auf das Ganze behalten, und die persönlichen Rechte ihrer Partei auf die Verträglichkeit mit einer Kooperation prüfen.

Das Recht in der kooperativen Praxis hat den Charakter eines reinen Ordnungssystems, das dann eingreift, wenn die Beteiligten sich nicht anders einigen können. Darüber hinaus setzt es für die freie Gestaltung auch Grenzen, soweit es bindend, d. h. als Recht nicht abdingbar ist. Das Recht als  Kampfmittel um Gewinn und Verlust, um Macht und Ohnmacht – oder auch nur ums Rechthabenwollen, hat in der kooperativen Praxis keinen Platz. Dies hat mit dem Recht im eigentlich  Sinn auch nichts zu tun. Damit dies möglich wird, müssen Recht und emotionale Hintergründe genau unterschieden werden. Im „Rosenkrieg“ werden Verletzungen und Enttäuschungen, die die Partner erlebt haben, rechtlich instrumentalisiert, um Genugtuung zu erfahren, dem anderen seine verletzten Gefühle zurückzugeben, schlimmstenfalls: um sich aneinander zu rächen. Dadurch, dass in der kooperative Praxis Recht und Emotionen getrennt betrachtet werden,  wird es möglich, sich über das Recht sachlich auseinanderzusetzen und destruktive Folgen unterschiedlicher Rechtsansichten zu verhindern.

Die kooperative Praxis führt nicht nur zu einem anderen – ethischen –  Rechtsverständnis, sondern auch zu einem veränderten Berufsbild des Anwalts: Ein Anwalt, der nicht nur die Folgen einer blinden Rechtsausübung mit seiner Partei bespricht und sie davor bewahrt, menschliche Beziehungen zu zerstören, sondern der auch in der Lage ist, mit dem Blick aufs Ganze ein faires Verfahren für alle zu etablieren. Dieses Berufsbild ist allerdings keine Erfindung der kooperativen Praxis. Es ist bereits seit Langem in der Berufsordnung für Rechtsanwälte festgeschrieben (§ 1 BORA = Berufsordnung für Rechtsanwälte ), wird freilich in der Praxis häufig nicht beachtet *).   Die kooperative Praxis nimmt diesen Auftrag gewissermaßen in der Weise ernst, dass sie die Methoden der Mediation und des Coachings in das anwaltliche Berufskonzept integriert. Im Einzelnen siehe hierzu den Beitrag in den Mitteilungen der Rechtsanwaltskammer Frankfurt  „Mediation – Einstieg in ein neues Berufsverständnis?“,  kammeraktuell3_12.

 

*) Danach hat der Anwalt seine Partei nicht nur rechtlich zu beraten und vor Rechtsnachteilen zu bewahren, sondern hat sie auch deeskalierend und streitschlichtend zu begleiten .